Risse durch Europa – Die EU in der Corona-Krise

„Das ist nicht mein Staat! Ein Staat muss wie ein Vater sein, der für seine Kinder da ist, wenn es ihnen schlecht geht. Der italienische Staat nimmt immer, er gibt aber nichts.“ Christina Sfriso ist verbittert. Die Glasbläserin, die auf der Insel Murano arbeitet und viele Jahre gut vom Tourismus in Venedig gelebt hat, hat seit Beginn der Corona-Krise im März kein Einkommen mehr.

Staatliche Unterstützung – Fehlanzeige. Obwohl die Regierung in Rom schnell zahlreiche Maßnahmen zur Stabilisierung und Belebung der Wirtschaft angekündigt hatte. Monatelang mussten die Menschen in Italien auf ihr Kurzarbeitergeld warten. Oder scheiterten an komplizierten Anträgen für Überbrückungsgelder. Die italienische Verwaltung war überfordert, ihre Strukturen brachen unter dem Ansturm zusammen.

Die Corona-Krise hat in zahlreichen Staaten Europas die Schwachstellen erbarmungslos offengelegt. Gesundheitssysteme, die auf Notfälle nicht vorbereitet sind. Unzureichende soziale Sicherungssysteme, die die Menschen zu den Tafeln treiben, wo sie wenigstens genug zu essen bekommen. Aber die Pandemie zeigt auch, wie  Politiker die Krise zu ihren Gunsten ausnutzen – etwa Viktor Orbán, der den Druck auf die Medien seines Landes immer weiter verschärft.

In Brüssel arbeitet man währenddessen fieberhaft daran, dass die EU nicht noch weiter auseinander driftet. Die Finanzkrise mit ihren verheerenden Auswirkungen besonders in Griechenland, Portugal und Spanien, steht vielen mahnend vor Augen. Diesmal will man geeint der größten Krise in der Geschichte der Union gegenüber treten.

Der EU-Gipfel verabschiedete im Juli ein historisch beispielloses Finanzpaket von 1,5 Billionen Euro. Dem müssen jedoch sowohl das EU-Parlament als auch die nationalen Parlamente noch zustimmen. Die Zeit drängt und die Auseinandersetzungen werden schärfer. Vor allem das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ist umstritten. Zahlreiche Parlamentarier dringen darauf, dass EU-Förderung nur an Staaten ausgezahlt wird, die die Regeln der Rechtsstaatlichkeit respektieren.

Die ARTE-Dokumentation „Risse durch Europa – Die EU in der Corona-Krise“ verfolgt das Ringen um die Beschlüsse in Brüssel zwischen Rat, Kommission und Parlament. Hochrangige Gesprächspartner haben sich den Fragen der Autoren Michael Richter und Katrin Matthaei gestellt: Ratspräsident Charles Michel ebenso wie die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, Parlamentspräsident Paolo Sassoli und der deutsche Außenminister Heiko Maas.

Parallel prüfen wir die Situation in den Ländern, die am stärksten von der Krise betroffen sind: Wie ist Italien in der Vergangenheit mit EU-Subventionen umgegangen? Wie nutzt Viktor Orbán EU-Gelder, um Vertraute gewogen zu halten? Warum funktioniert das griechische Asylsystem immer  noch nicht, obwohl fast 3 Milliarden Euro seit 2015 nach Athen geflossen sind? 

Der Film „Risse durch Europa“ zeigt eine EU, die mit äußerster Kraftanstrengung versucht, ihre Einheit zu bewahren und die doch an ihren Schwächen zu zerbrechen droht.

Autor: Michael Richter
Redaktion: Kathrin Bronnert
Produzentin: Nadja Frenz
Produktion: VINCENT PRODUCTIONS für NDR / Arte

2020-11-09T17:00:52+01:00