Vor genau 30 Jahren zerfällt der Vielvölkerstaat Jugoslawien. Die Unabhängigkeitserklärungen von Slowenien und Kroatien lösen 1991 die sogenannten postjugoslawischen Balkankriege aus. Aus dem ehemaligen Staatenbund sind heute sieben Nachfolgestaaten hervorgegangen. Aufkeimender Nationalismus, soziale Ungerechtigkeit, Korruption und eine marode Wirtschaft sind damals wie heute Herausforderungen.
Beiträge im Radio, Filme im Kino, Bücher, Musik-Konzerte, Performing-Arts – zahlreiche Kulturschaffende aus dem ehemaligen Jugoslawien nutzen ihre Kunst, um etwas zu verändern, um auf relevante Themen und Missstände aufmerksam zu machen. Die gemeinsame Erfahrung, das Überleben des Krieges und der Widerstand gegen den aufkeimenden Nationalismus eint die Kulturschaffenden des ehemaligen Jugoslawiens und gibt ihnen Impulse für ihre kreative Arbeit. In ihrer Kunst suchen sie die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit und neue Formen der Gemeinschaft für die Zukunft.
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Eine der bekanntesten Künstlerinnen, die mittlerweile Weltruhm erlangt hat, ist Jasmila Žbanić. Der Krieg hat die bosnische Regisseurin geprägt. Bereits während der Belagerung von Sarajevo dreht sie im Alter von 17 Jahren ihre ersten Filme. Heute pendelt sie zwischen Bosnien und Berlin, wo ihr Spielfilmdebüt „Esmas Geheimnis – Grabavica“ 2006 mit dem Goldenen Bären auf der Berlinale ausgezeichnet wurde. Ihr aktueller Film „Quo vadis, Aida?“ wurde 2021 für den Oscar nominiert und erzählt von einem der dunkelsten Kapitel des Balkan-Krieges: Dem Massaker von Srebrenica.
Auch der kroatische Schriftsteller Miljenko Jergović ist in Sarajevo, der heutigen Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, geboren. Doch der Krieg hat ihn 1993 von dort nach Zagreb vertrieben. Seine Biografie zeigt den Identitätskonflikt, unter dem viele Ex-Jugoslaw*innen leiden. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden. Sein kritischer Geist ist den Nationalisten ein Dorn im Auge. Als Literat spricht er die unbequemen Themen an, zerstört für einige ihr glorifiziertes Bild des ehemaligen Jugoslawiens und seiner Nachfolgestaaten.
Auch die serbische Radio-Moderatorin Ana Vučkovic legt den Finger in die Wunden der Vergangenheit. Bei ihrer eigenen Sendung dreht sich alles um Kultur, meistens aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Trotz aller Konflikte sieht sie auch Gemeinsamkeiten: Eine gemeinsame Muttersprache, Kultur und Vergangenheit. Ana Vučkovic schreibt auch Bücher. Ihre aktuelle Novelle: „Yugoslav“. Anhand der Biografie ihres verstorbenen Vaters begibt sie sich in das Spannungsfeld zwischen nostalgischer Glorifizierung und grausamer Realität von Jugoslawien.
Feminismus und Kunst
Zur neuen Generation Kulturschaffender, die auch andere Themen als den Krieg bearbeiten, gehört die Performancekünstlerin und Aktivistin Selma Selman, Jahrgang 1991. Sie lebt und arbeitet zwischen Bihać und New York. „Wir leben in einer patriarchalen Welt. Wenn wir über Bosnien und generell den Balkan sprechen, dann ist das sehr patriarchal. Alles dreht sich um den Mann. Als ich Kind war, wusste ich nicht, dass Frauen mächtig sein können“, sagt die Bosnierin. In ihrer Performing-Art geht es immer wieder um feministische Themen und ihre doppelte Identität als Frau und Roma.
Außerdem werden zu sehen sein: Der traditionelle Sevdah-Musiker Damir Imamović und Ivan Novak, Mitglied der slowenischen Band Laibach.